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Gönderen Konu: Der Geistige Despotismus der Demokratie  (Okunma sayýsý 2213 defa)

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Haziran 25, 2013, 08:47:25 ös
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(Zwei Typen der Tyrannei der Mehrheit und ihr Zusammenhang bei Tocqueville)

von Christoph Heuermann

I. Einleitung


Unsere heutige Zeit ist geprägt von der Forderung nach mehr Demokratie. Bürgerinitiativen wie Parteien möchten das Volk stärker einbinden, litik abzuwenden n Augen, dass wir uns nicht mehr in einer Demokratie, sondern bereits in einer Post-Demokratie befinden, in der es allenfalls den Anschein hat, dass der Bürger noch über Politik mitbestimmen kann, wo die Fäden tatsächlich aber im Hintergrund gesponnen werden. Doch ist mehr Demokratie wirklich das Allheilmittel, das es zu sein vorgibt?
 
Auch Demokratie hat Gefahren, die bereits 1835 mit dem Begriff der „Tyrannei der Mehrheit“ durch Alexis de Tocqueville veranschaulicht wurden, der sich seinerseits auf den US-Gründervater James Madison in den „Federalist Papers“ bezog (Madison et al. 1989). Tocqueville unterscheidet dabei zwischen zwei Typen der Tyrannei der Mehrheit: zum einen die rein numerische, legislative Allmacht der Mehrheit, zum anderen die Tyrannei, die die Demokratie auf das Denken ausübt. Letzteres, der geistige Despotismus der Demokratie, ist das Neue an Tocquevilles Werk „Über die Demokratie in Amerika“ (Tocqueville 1835), wurde seitdem jedoch nur selten weiter untersucht.
 


In diese Lücke möchte ich mit meiner Hausarbeit stoßen und Tocquevilles zwei Typen näher analysieren. Ich komme zu dem Schluss, dass die Tyrannei der Mehrheit sich nicht nur in die zwei verschiedenen Typen aufteilt, sondern das diese auch eng miteinander verwoben sind. Die reelle Gefahr einer numerischen Tyrannei der Mehrheit wird bedingt durch eine Tyrannei der Mehrheit über das Denken. Erst in einer Gesellschaft gleichgeschalteter Individuen kann die numerische Tyrannei der Mehrheit nämlich zu einer realistischen Gefahr werden. Für sich alleine kann man eine numerische Tyrannei der Mehrheit als harmlos betrachten, sofern es verfassungsinstitutionelle Sicherungen, Veto-Spieler und eine politische Kultur auf angemessenem Niveau gibt. Ihre wahre Machtfülle ergibt sich erst durch Kombination mit einer Tyrannei der Mehrheit über das Denken, die die Gesellschaft gleichschaltet und damit einige der weiteren Argumente, die gegen die Gefahr einer numerischen Tyrannei der Mehrheit sprechen, gar ins Gegenteil verkehren. Durch Erziehung der Gesellschaft in eine bestimmte Richtung, Konformismus, und damit stetiger Selbstbestätigung wird eine numerische Tyrannei der Mehrheit erst möglich, die in letzter Konsequenz jedoch zum Scheitern verdammt ist.
 
In dieser Hausarbeit wird nach einem Überblick über den aktuellen Forschungsstand der Begriff der Tyrannei der Mehrheit aus ideengeschichtlicher Perspektive betrachtet, um Aufschluss über die Entwicklung der beiden Konzepte zu gewinnen. Anschließend widmet sich der Hauptteil dieser Hausarbeit der Stichhaltigkeit beider Typen und argumentiert, dass eine numerische Tyrannei der Mehrheit erst bedingt durch eine Tyrannei der Mehrheit über das Denken zu einer realistischen Gefahr werden kann, die dann jedoch kaum noch aufzuhalten ist. Die Ergebnisse werden im einem Fazit kritisch gewürdigt und weitere Forschungsmöglichkeiten aufgezeigt.
 

II. Aktueller Forschungsstand

Nachdem Alexis de Tocqueville sein Werk „Über die Demokratie in Amerika“ (1835/1840) veröffentlicht hatte, erfuhr es stetig steigende Bedeutung. Die Frage der Tyrannei der Mehrheit gleichwohl, die er als erster konkret ausformulierte (Martin 1961: 7), blieb in der neueren Forschung weitgehend unberücksichtigt. Grundproblem einer Untersuchung über das Konzept der Tyrannei der Mehrheit ist die relativ geringe Dichte konkreter Studien zur Tyrannei der Mehrheit, während der Begriff als solcher sehr oft auftaucht.
 In dieser Hausarbeit beschränke ich mich daher auf den Teil der Sekundärliteratur, der sich intensiv mit dem Konzept der Tyrannei der Mehrheit bei Tocqueville auseinandersetzt sowie mit seinem Werk „Über die Demokratie in Amerika“ (1835/1840) selbst.
 
Der Begriff „Tyrannei der Mehrheit“ wurde schon von den amerikanischen Gründervätern in den „Federalist Papers“ (Madison et al. 1989) benutzt und reicht durch die gesamte Ideengeschichte bis in die Antike zurück (Hüglin 1977).
 
In Anschluss an Tocqueville wurde der Begriff Tyrannei der Mehrheit vor allem von John Stuart Mill geprägt, der näher auf Tocquevilles Konzept einer Tyrannei der Mehrheit über das Denken einging, die sie beide am meisten füchteten (Martin 1961: 145).
 
Konkrete Studien über die Tyrannei der Mehrheit haben sich angeschlossen, die jedoch eher im soziologischen (Hermens 1958, Feldhoff 1968 ) und juristischen (Guinier 1995) Bereich lagen und den Bereich politischer Theoriebildung vernachlässigten, wo die Tyrannei der Mehrheit lediglich als „numerisches, und daher technisch relativ leicht zu bewältigendes Problem“ verstanden wurde (Hüglin 1977: 36). Dort belegen Analysen (McGann 2004, Vatter/Danaci 2010), dass die Gefahr einer numerischen Tyrannei der Mehrheit zu vernachlässigen ist.
 

Im ideengeschichtlichen Bereich sorgten Martin (1961) und Hüglin (1977) für einen umfassenden Überblick, an den sich seit Horwitz (1966) in neuerer Zeit weitere politische Theoriebildung angeschlossen hat, die sich verstärkt mit der Tyrannei der Mehrheit über das Denken beschäftigt (Fott 1998, Maletz 2002).
 
Tocquevilles Konzept einer Tyrannei der Mehrheit sollte im Kontext der Entstehung seines Werkes „Über die Demokratie in Amerika“ (1835/1840) betrachtet werden: „Tocqueville und Beaumont hielten sich vom 11. Mai 1831 bis zum 20. Februar 1832 in den USA auf. Sie erlebten die Gesellschaft im Anfangsstadium der Jacksonian Democracy, in der Phase eines wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Wandels in Richtung auf eine Fundamentaldemokratisierung“ (Feldhoff 1968: 9).
 Als Forschungsreisender im Auftrag Frankreichs ging es Tocqueville nicht so sehr darum, die amerikanischen Bedingungen zu verstehen, sondern vielmehr sie als Mittel zur Analyse der Zukunft Frankreichs zu benutzen (Laski 1948: 16). Er beschrieb Amerika, dachte jedoch an Europa (Horwitz 1966: 295): „Tocqueville hat seine Reiseeindrücke in Amerika in erster Linie dazu genutzt, Europa und insbesondere Frankreich diese völlig neue Dimension der gesellschaftlichen Auseinandersetzung beispielhaft vor Augen zu führen“ ((Hüglin 1977: 179).
 
Seine Methodik ist auch nicht die eines klassischen politischen Theoretikers, sondern eher die eines Soziologen: „Here was the essence of Tocqueville's method - to understand politics by analyzing the nature of a given society“ (Horwitz 1966: 296). Dies sollte man sich bei der folgenden Analyse bewusst sein.

III. Tyrannei der Mehrheit – 2 Typen im Vergleich
 
III.1 Historische Betrachtung


Alexis de Tocqueville unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Typen der Tyrannei der Mehrheit. In Anlehnung an die „Federalist Papers“ (Madison et al. 1989) bezieht er sich einerseits auf die numerische Mehrheit, andererseits auf die Mehrheit, die das Denken in einer demokratischen Gesellschaft bestimmt. Während das erste Konzept in der Ideengeschichte tief verwurzelt ist, so ist das zweite Konzept in voller Breite erst bei Tocqueville entstanden.
 
Das erste Konzept einer numerischen Tyrannei der Mehrheit, dessen Stichhaltigkeit noch geprüft werden wird, lässt sich verkürzt als die Annahme beschreiben, dass 51% der Menschen alles bekommen, was sie wollen (Guinier, 1995: xvi). Diesen Gedanken findet man bereits in der Antike: „Die entartete Demokratie bei Platon und Aristoteles, die Ochlokratie, die Willkür der gesetzlosen Demokratie, die Diktatur der armen Mehrheit über die reiche Minderheit, der ungebildeten, manipulierbaren Mehrheit über die gebildete, nonkonformistische Minderheit entspricht im Kern der Mehrheitstyrannei“ (Hüglin 1977). Bei Platons Philosophenher 1977). Bei Platons Philosophenherrschaft unterliegt das Individuum „der Tyrannei des Allgemeinen, das in der Mehrheit verkörperte Prinzip der Herrschaft des Allgemeinen wird zur tyrannischen Bedrohung der individuellen Besonderheit des Einzelnen“ (Hüglin 1977: 81).
 In dieser Beschreibung findet man bereits einen Anklang des zweiten Konzeptes einer Tyrannei der Mehrheit über das Denken, das in den folgenden Jahrhunderten jedoch nicht weiter verfolgt wurde.
 
Die numerische Tyrannei der Mehrheit wurde meist von den Denkern aufgegriffen, denen „die Gesellschaft als in wesentlich zwei Teile gespalten erscheint“ ((Hüglin 1977: 259): „Die Verabsolutierung des Mehrheitsprinzipes geht auf Hobbes, Rousseau und zum Teil auf Marx zurück“ (Hüglin 1977). Insbesondere Marx sieht die Diktatur des Proletariats – also die Diktatur der Mehrheit – im Gegensatz zu Tocqueville und Mill - als etwas Positives (Hüglin 1977). Vor allem letztere beiden Denker führten weg vom ersten Konzept einer numerischen Tyrannei der Mehrheit hin zu einer Tyrannei der Mehrheit über das Denken: „Bei Tocqueville erst wird die Ambivalenz der Mehrheitstyrannei sichtbar. Opfer der Diktatur der Mehrheit sind nicht nur Minderheiten, sondern in der Demokratie die Mehrheit selbst, wenn sie der Eigendynamik von Anpassung, Konformismus und Gleichmacherei erliegt“ (Hüglin 1977). „Tocquevilles polemisch-provokatives Schlagwort von der „Tyrannei der Mehrheit“ erfasst die Problematik der Mehrheitsherrschaft in der Demokratie von zwei Seiten. Einmal wird der Aspekt der Mehrheitsherrschaft dort berührt, wo diese sich in staatlicher Autorität niederschlägt. In diesem numerischen Sinn, in der Auseinandersetzung zwischen Regierungsmehrheit und Opposition, hat man Tocqueville vor allem in England sogleich begriffen. In zweiter Linie jedoch, die ihm durchaus vorrangig war, wollte Tocqueville auf das gesellschaftliche Allgemeinwerden der Mehrheitsherrschaft hinweisen“ (Hüglin 1977: 203).
 

Dies unterscheidet ihn auch von den amerikanischen Gründervätern in den „Federalist Papers“ (Madison et al. 1989): „Madison's was a numerical or political majority where Tocqueville's was not composed of mere numbers, but rather was a more subtle and intangible tyranny of unanimity and uniformity; that is, a tyranny of democratic society itself“ (Horwitz 1966: 302). Tocqueville verlagerte also das Problem der Mehrheitstyrannei von der Regierung in die Gesellschaft (Horwitz 1966: 305), während Madison es noch als institutionelles Problem auffasste (Horwitz 1966: 299): „Yet for all the attention Americans paid to the majority question before Tocqueville entered upon the scene, they had hardly scratched the surface, and the Frenchman, therefore, was able to suggest an approach that they had not even considered“ (Horwitz 1966: 293).
 
Laut Madison benötige eine Demokratie also institutionelle Barrieren, um einen Teil der Gesellschaft gegenüber Ungerechtigkeit eines anderen Teils zu schützen“ (Guinier, 1995: 3): „The accumulations of all power in the same hands, Madison warned, whether of one, a few, or many, and whether hereditary, self-appointed, or elective, may justly be pronounced the very definition of tyranny“ (Guinier, 1995: 3).
 
Tocqueville allerdings teilte Madisons Ängste nicht ernsthaft, dass es zu einer Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in Mehrheit und Minderheiten kommen könne (Horwitz 1966: 296), sondern sah größere Gefahr in seinem Konzept eines geistigen Despotismus der Demokratie, in dem die gesamte Gesellschaft ohne Vorhandensein erdrückende Gesetze gleichmässig handelt (Horwitz 1966: 301). John Stuart Mill sah darin später einen kausalen Zusammenhang: „Die Tendenz, alles zu unterdrücken, was von der Mehrheitsnorm abweicht, liegt sozusagen in der Natur der Mehrheitsherrschaft selbst“ (Hüglin 1977: 207): „John Stuart Mill never fell into the error of worshipping mere numbers. Indeed he was fearfulere numbers. Indeed he was fearful of the damage a set of fustian ideas could do to humanity, although attaching a great deal of importance to public opinion“ (Martin 1961: 8). Es ist also Tocqueville und später Mill zu verdanken, dass die Tyrannei der Mehrheit nicht als rein numerisches Problem gesehen wird, sondern auch ungleich größere Gefahren mittels einer Tyrannei über das Denken beinhaltet, deren Stichhaltigkeit im nächsten Kapitel untersucht werden wird. Können wir Mill und Tocqueville Glauben schenken, so ist die Gefahr einer numerischen Tyrannei der Mehrheit nur ein begrenzt stichhaltiges, theoretisches Problem, während die Tyrannei der Mehrheit über das Denken als ungleich gefährlicher betrachtet werden kann.

III.2 Stichhaltigkeit

Das Konzept einer Tyrannei der Mehrheit lässt sich in zwei verschiedene Typen einteilen: die numerische Tyrannei der Mehrheit und die Tyrannei der Mehrheit über das Denken.
 
Die numerische Tyrannei der Mehrheit bedeutet grundsätzlich, dass eine Mehrheit über eine Minderheit bestimmen kann: „Die sittliche Herrschaft der Mehrheit stützt sich ferner auf den Grundsatz, daß die Interessen der großen Zahl denen der kleinen Zahl vorgehen“ (Tocqueville 1835: 371). Diese Macht gilt trotz moralischer Bedenken Tocquevilles unbedingt (Tocqueville 1835: 369) und ist der Ursprung aller Gewalten der Demokratie : „Ich halte den Grundsatz, daß die Mehrheit des Volkes in bezug auf die Regierung das Recht hat, alles zu tun, für ruchlos und verabscheuungswürdig, und dennoch ist für mich der Wille der Mehrheit der Ursprung aller Gewalten“ (Tocqueville 1835: 376). Gerade deshalb sei eine demokratische Regierung unglaublich stark (Tocqueville 1835: 378): „ In a democracy, the majority possesses a "natural strength" because its primacy derives from the core principle of democracy itself“ (Maletz 2002: 753).
 Totale Macht, welche die Gefahr einer Tyrannei der Mehrheit birgt, habe sie, wenn es keine ernstzunehmenden Widersacher gäbe: „A majority that does not need to worry about defectors is a majority with total power“ (Guinier, 1995: 4). Kritisch wird diese sich aus dem Mehrheitsprinzip ergebende Macht auch dann, wenn der Mehrheit widerstrebende Meinungen offen unterdrückt und verboten werden (Hüglin 1977: 268). So könne die Allmacht der Mehrheit schnell zur totalitären Macht werden (Hüglin 1977: 190), die von niemandem übertroffen werden kann (Maletz 2002:756).
 

Neben potenziellen Veto-Spielern spielen Institutionen und die individuelle politische Kultur eine Rolle beim Problem der numerischen Tyrannei der Mehrheit. Institutionen können die Macht der Mehrheit begrenzen: „The most obvious obstacles are the state and federal constitutions, which limit what majorities can do and are not easy for those same majorities to change“ (Guinier, 1995: xvi). Das tun sie laut empirischen Analysen anhand von Volksentscheiden auch (Vatter, Danaci 2010: 219), sofern neben verfassungsinstitutionellen Sicherungen noch die politische Kultur auf einem angemessenen Niveau ist. Das bedeutet in dieser Hinsicht, dass das Mehrheitsprinzip eine gewisse Reife der Wähler voraussetzt (Hermens 1958: 39), da Mehrheitsherrschaft Herrschaft durch Überzeugen der Wähler ist (Hermens 1958: 38): „[...] the power of official propaganda is evident even where the approach is most civilised. Spurious advertising, induced emotionalism, insidious infiltrations into minds, take place all the time. They form part of a concerted attempt by the educated majority to lead the mass“ (Martin 1961: 146).
 
An diesem Punkt kommt der zweite Typ einer Tyrannei der Mehrheit zum Vorschein: „[...] Tocqueville believed he saw a growing and aggressive majoritarian populism“ (Maletz 2002: 751). Ist der Wähler nicht reif genug, läuft er Gefahr, dieser Mehrheitsmeinung blind zu folgen: „In den Vereinigten Staaten übernimmt es die Mehrheit, den Menschen eine Masse fertiger Ansichten zu liefern, und sie enthebt sie dadurch der Aufgabe, sich selbst eigene zu bilden“ (Tocqueville 1840: 22).
 


Die numerische Tyrannei der Mehrheit wird also durch eine Tyrannei der Mehrheit über das Denken bedingt, was zu grundlegenden Konsequenzen für die Politik führt: „Das Verhältnis zwischen Mehrheit und politischer Entscheidung verkehrt sich: nicht länger bestimmt die Mehrheit die Politik, sondern alle Politik zielt auf die Bestimmung der Mehrheit“ (Hüglin 1977: 187).
 
Für diese Annahme sprechen mehrere Gründe: einerseits ist das Konzept einer numerischen Tyrannei der Mehrheit für sich nicht nur laut empirischen Studien nicht sonderlich aussagekräftig (Vatter, Danaci 2010 „[...] it is not true, that the interests of a majority are different from those of the minority, and that the two can be compared to a conquering and a conquered nation, as de Tocqueville assumed. There is never a clear line of division between majority and minority“ (Hermens 1958: 51).
 Im Gegenzug zu Entscheidungen von Königen und Diktatoren seien Mehrheitsentscheidungen auch sicherer (Hermens 1958: 47), weil eine Mehrheit statt eine Einzahl dahinter steht. Dieses Argument der Schwarmintelligenz ist jedoch im Zusammenhang mit einer Tyrannei der Mehrheit über das Denken eher schwach – es verkehrt sich gar ins Gegenteil, wenn eine Masse, eine Mehrheit, von der selben Sache voll überzeugt ist.
 
Ein weiteres Argument ist, dass wenn institutionell gesicherte Rechte von Minderheiten nicht angegriffen werden, diese Minderheiten an sich auch nur schwerlich unterdrückt werden können (Hermens 1958: 42). Eine numerische Tyrannei der Mehrheit könne es ebenfalls nicht geben, „because there is no single, cohesive majority ready to dominate everyone else“ (McGann 2004 74). Auch dieses Argument verkehrt sich im Zusammenhang mit der Tyrannei der Mehrheit über das Denken ins Gegenteil. Durch diese kann es nämlich sehr wohl eine einzelne kohäsive Mehrheit geben.. Letztlich bringt es Hermens auf den Punkt: „Orderly majority rule is, in its very essence, the opposite of tyranny“ (Hermens 1958: 52). Für sich betrachtet ist die numerische Tyrannei der Mehrheit also keine ernstzunehmende Gefahr – eine Einschätzung, die einige Forscher teilen (Maletz 2002: 741) - in Verbindung mit einer Tyrannei der Mehrheit über das Denken jedoch sehr wohl. Für diese Behauptung sprechen einige Argumente, die in der spezifischen Konzeption dieser Tyrannei der Mehrheit über das Denken selbst liegen.
 

Nicht ohne Grund trägt diese Hausarbeit den Titel „Der geistige Despotismus der Demokratie“. Denn die Mehrheitstyrannei über das Denken ist ein Grundproblem der Demokratie selbst: „[...] the problem of the omnipotence of the majority is inherent in democracy“ (Fott 1998: 207). Demokratie erzieht im gewissen Maße (Fott 1998: 207), indem sie der Gesellschaft ein gewisses Denken vermittelt: „Die demokratischen Staatswesen verbreiten das höfische Denken in der großen Menge und lassen es in alle Schichten gleichzeitig eindringen“ (Tocqueville 1835: 387).
 
Für Tocqueville bedeutet dies, dass er in diesem geistigen Despotismus der Demokratie ein über die numerische Tyrannei der Mehrheit weit hinausgehendes Problem sieht (Hüglin 1977: 199). Ihm wird zugeschrieben, den Begriff „Tyrannei der Mehrheit“ nur als Metapher gebraucht zu haben (Horwitz 1966: 301), um das Egalitarisierungsstreben mit seinen Wohltaten wie auch Gefahren als Grundproblem eines demokratischen Staatswesens anzuprangern (Horwitz 1966: 300) . Gerade weil er jedoch den Begriff der Tyrannei der Mehrheit auf das nicht numerische Problem eines geistigen Despotismus bezog, fällt der Bezug dessen Auswirkung auf dieses numerische Problem der Tyrannei der Mehrheit nun leicht.
 

Wie können wir die beiden Typen der Tyrannei der Mehrheit nun voneinander abgrenzen? Zentrales Unterscheidungskriterium ist die Auswirkung beider Typen der Mehrheitstyrannei auf den Menschen. Die numerische Tyrannei der Mehrheit ist eine Tyrannei über den Körper, während die Tyrannei der Mehrheit über das Denken eine Tyrannei über den Geist eines Menschen ist (Martin 1961: 9). Daraus folgt, dass die numerische erzwungen ist, während die über das Denken eher freiwillig zu nennen ist: „A public which could determine how people felt and what they thought might well assure harmony and unity, but the bitter price was a tyranny over heart and mind - albeit a "voluntary" tyranny“ (Horwitz 1966: 302).
 Gerade in ihrer angeblichen Freiwilligkeit liegt jedoch ihre Gefahr. Der Mensch fühlt sich frei und wird doch vom geistigen Despotismus beherrscht, der sein Denken in eine bestimmte Richtung lenkt: „It is, rather, the creation of a climate of opinion that establishes boundaries, within which there is considerable leeway but which nevertheless define firm limits for the permissible“ (Maletz 2002: 756). Dies betrifft nicht nur sein politisches Handeln, sondern auch private Gewohnheiten (Feldhoff 1968: 87).
 Dadurch, dass sie auf alle Lebensbereiche einwirkt, wird die Tyrannei der Mehrheit über das Denken zu einer totalitären Macht, die in letzter Konsequenz die Individualität eines Menschen zerstört: „Der totale Konformismus gegenüber den sozialen Normen hebt die Distanz des Einzelnen zur Gesellschaft auf und zerstört damit die Grundbedingungen für solche Entscheidungen, die die Menschen ganz als ihre eigenen erleben“ (Feldhoff 1968: 104). Nicht nur mehr menschliches Handeln wird von dieser moralischen Kraft reguliert, sondern ihre menschliche Natur selbst wird geformt (Horwitz 1966: 302).
 
Dies führt dazu, wie schon Tocqueville in Amerika beobachtete, dass alle der gleichen Denkweise folgen (Tocqueville 1835: 387), was in letzter Konsequenz zu Abhängigkeit und Unfreiheit führt: „Ich kenne kein Land, in dem im allgemeinen weniger geistige Unabhängigkeit und weniger wahre Freiheit herrscht als in Amerika“ (Tocqueville 1835: 381). Die Menschen denken zwar, dass sie frei und selbstbestimmt sind – man erinnere sich an die „freiwillige“ Tyrannei – doch folgt jeder von ihnen einen speziellen Typ des Konformismus (Martin 1961: 20), der zu generellen Vereinbarungen über bestimmte Themen führt, die mit einem Teilverlust individueller Souveränität einhergehen (Martin 1961: 28). John Stuart Mill beschrieb diesen Konformismus sehr treffend: „People were beginning to read the same things, go to the same places, have their hopes and fears directed to the same objects, have the same rights and liberties, and the same means of asserting them“ (Martin 1961: 60).
 


Zentrale Ursache dieses Konformismus ist das Gleichheitsstreben in einem demokratischen Staatswesen, da gesellschaftliche Gleichheit als erklärtes Ziel der Mehrheit deklariert wird (Hüglin 1977: 186). Dieses Ziel wird als gerechtfertigt angesehen, da für die Mehrheit Gleichheit Gerechtigkeit bedeutet, weshalb es demokratisch ist, das Interesse der Mehrheit an Gleichheit über die Sonderinteressen von Minderheiten zu stellen (Hüglin 1977: 186). Dazu kommt noch, dass die Lehre der Gleichheit laut Tocqueville auch auf den Geist der Menschen übertragen wird, indem die Mehrheitsherrschaft in der Schwarmintelligenz begründet liegt: „Die sittliche Herrschaft der Mehrheit gründet sich teilweise auf den Gedanken, daß in vielen Menschen mehr Einsicht und Weisheit beisammen seien als in einem allein, in der Vielzahl der Gesetzgeber mehr als in einer Auslese (Tocqueville 1835: 370). Dies wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass Menschen dann zufrieden sind, wenn sie so sein können wie alle anderen (Hüglin 1977: 185). Man ist lieber gemeinsam schlechter gestellt, als besser gestellt zu sein, aber von anderen noch übertroffen zu werden.
 Neben dem steigenden Vorhandensein von Gleichheit nimmt also auch der Wille zur Gleichheit zu – Folge ist eine Art Gleichheitsspirale: „Der Wille zur Gleichheit und das massenhafte Vorhandensein von Gleichheit bestärken sich wechselseitig. Die Gesellschaft gerät in die Fänge einer öffentlichen Meinung, die außer der Mehrheit niemand mehr zu beeinflussen hoffen darf“ (Hüglin 1977: 185). Die Gefahr, die von dieser Beeinflussung der öffentlichen Meinung ausgeht, liegt darin begründet, dass die Mehrheit sich aufgrund der großen Zahl gleicher Ansichten ständig selbst bestätigt, was zu überheblichem Handeln ihrerseits führt (Hüglin 1977: 193).
 Diese Überheblichkeit kann auch wiederum konkrete Auswirkungen auf eine numerische Tyrannei der Mehrheit haben. Da, wie gezeigt, die Mehrheitstyrannei über das Denken das Denken der Menschen angleicht und sie zu überheblichen Handeln verleitet, haben wir hier einen anderen Beweis für die Behauptung gefunden, dass die Tyrannei der Mehrheit über das Denken eine numerische Mehrheitstryrannei bedingt, die sonst nicht zustande kommen würde. Denn eine überheblich handelnde Mehrheit wird sich über die Interessen von Minderheiten hinwegsetzen.
 
Da es immer weniger Andersdenkende gibt, die vom Willen der Mehrheit zunehmend bekämpft werden, ist dieser Typ der Tyrannei der Mehrheit über das Denken höchst gefährlich und kaum zu bekämpfen: „Das Denken ist eine unsichtbare und fast unangreifbare Macht, die alle Tyranneien zum besten hält“ (Tocqueville 1835: 381). Denn es bedarf weder Gesetze, also der numerischen Macht, um Andersdenkende zu bekämpfen, sondern reiner Geisteshaltung: „Die Mehrheit umspannt […] das Denken mit einem erschreckenden Ring. Innerhalb dessen Begrenzung ist der Schriftsteller frei; aber wehe ihm, wenn er ihn durchbricht. Zwar hat er kein Ketzergericht zu befürchten, aber er ist allen möglichen Verdrießlichkeiten und täglichen Verfolgungen ausgesetzt“ (Tocqueville 1835: 382). Der Schriftsteller in diesem Beispiel kann sich auch nicht friedlich wehren, da jede öffentliche Stelle vom Willen der Mehrheit kontrolliert wird: „Erfährt ein Mensch oder eine Partei in den Vereinigten Staaten eine Ungerechtigkeit, an wen soll er sich wenden? An die öffentliche Meinung? Sie ist es, die die Mehrheit bildet; an die gesetzgebende Versammlung? Sie stellt die Mehrheit dar und gehorcht ihr blind; an die ausübende Gewalt? Sie wird durch die Mehrheit ernannt und dient ihr als gefügiges Werkzeug; an das Heer? Das Heer ist nichts anderes als die Mehrheit in Waffen; an das Geschworenengericht? Das Geschworenengericht ist die mit dem Recht zum Urteilsprechen bekleidete Mehrheit: die Richter selbst werden in gewissen Staaten von der Mehrheit gewählt. Wie ungewollt oder unsinnig die Maßnahme sei, die euch trifft, ihr habt ihr euch zu unterziehen“ (Tocqueville 1835: 379).
 

Die einzige Maßnahme, die der Schriftsteller ergreifen könnte, wäre Gewalt: „Sollte die Freiheit in Amerika jemals untergehen, so wird man dafür die Allmacht der Mehrheit verantwortlich machen müssen, die die Minderheiten zur Verzweiflung trieb und sie zwang zur Gewalttätigkeit zu greifen. Man wird dann Zeuge der Anarchie sein, aber sie wird als Folge des Despotismus eintreten“ (Tocqueville 1835: 390).
 
Die Wahrscheinlichkeit dafür ist hoch, da es sonst nur eine Alternative gibt, die die numerische Tyrannei der Mehrheit ad absurdum führt. Denn in einer Gesellschaft völlig gleichgeschalteter Individuen ohne jeglichen Andersdenkenden, zu der eine Tyrannei der Mehrheit über das Denken ohne Widerstand letztlich führen würde, kann man nicht mehr von einer Tyrannei sprechen, da es niemanden mehr gibt, der tyrannisiert wird. Man ist angekommen in der Welt der Vertragstheoretiker – die Tyrannei der Mehrheit über das Denken hat dazu geführt, dass sich jedes Individuum letztlich mit einem Gesellschaftsvertrag jedweder Form völlig einverstanden fühlen kann, da dieser alle seinen Normen und Moralvorstellungen entspricht.
 

IV. Fazit

Die bisherige Forschung zur Tyrannei der Mehrheit hat erkannt, dass es zwei verschiedene Typen gibt – die numerische Tyrannei der Mehrheit und die Tyrannei der Mehrheit über das Denken – sie hat diese jedoch isoliert voneinander untersucht. Mit meiner Hausarbeit habe ich aufgezeigt, dass die beiden Typen der Tyrannei der Mehrheit eng miteinander zusammenhängen: die reele Gefahr einer numerischen Tyrannei der Mehrheit wird bedingt durch eine Tyrannei der Mehrheit über das Denken.
 
Ich habe gezeigt, dass eine numerische Mehrheitstyrannei für sich keine realistische Gefahr darstellt. In Verbindung mit einer durch Tyrannei über das Denken gleichgeschalteten Gesellschaft wird sie jedoch nicht nur möglich, sondern ist kaum noch aufzuhalten. Während man dem Konzept einer numerischen Tyrannei der Mehrheit also nur eine begrenzte Stichhaltigkeit zusprechen kann, ist jene der Tyrannei über das Denken ungleich höher.
 Zentrale Argumente dafür sind, dass Demokratien ihre Bürger im gewißen Maße in eine gewisse Richtung erziehen und deren dadurch zunehmender Konformismus sich in stetig zunehmeder Selbstbestätigung äußert. Für diesen Vorgang habe ich den Begriff Gleichheitsspirale gewählt, der metaphorisch auf die Unendlichkeit des Egalitarisierungsstrebens hindeutet.
 Am Ende gibt es zwei Möglichkeiten: einerseits sind und denken alle Bürger gleich, weshalb man nicht mehr von einer Tyrannei sprechen kann, andererseits gibt es noch verbliebene Minderheiten, die als einzig realistischen Ausweg zu Gewalt greifen, was letztlich zu Anarchie führt. In beiden Fällen wird die Tyrannei der Mehrheit letztlich aufgehoben – langfristig wird sich also eine Tyrannei der Mehrheit niemals halten können.
 
Um diese Thesen argumentativ besser abzusichern ist weitere Forschung nötig, die sich mit der von mir aufgezeigten Verbindung beider Typen der Tyrannei der Mehrheit beschäftigen sollte, statt einer der beiden Typen isoliert zu betrachten. Besonderes Interesse verdient dabei, wie sich das Denken der Bürger konkret verändert, welche Auswirkungen dies auf die Mehrheitsverhältnisse hat und wie sich Minderheiten gegen den zunehmenden Konformismus wehren bzw. wehren können, wenn sie nicht zu Gewalt greifen möchten.
 Die Rolle von Institutionen und politischer Kultur in Unterstützung wie auch Schutz vor einer Tyrannei der Mehrheit wurde in dieser Hausarbeit nur angestreift, bietet aber ein weites Feld für zukünftige Forschungsvorhaben, die auch insbesondere J.S. Mills Konzeption und Bedingungen anderer Staaten in die Untersuchung einbeziehen sollten.
 
In dieser Hausarbeit ging es vor allem um Tocquevilles interessante Konzeption eines geistigen Despotismus der Demokratie in Amerika, der 178 Jahre später jedoch immer noch von hohem Wert für die Forschung ist – auch für die Politikwissenschaften. Denn soviele Vorteile uns die Demokratie auch bringt, sollten wir uns ihrer Gefahren bewusst sein und Lösungen finden, wie wir das Problem einer Tyrannei der Mehrheit effektiv bekämpfen können.

Litearatur

Feldhoff, Jürgen, 1968: Die Politik der egalitären Gesellschaft. Zur soziologischen Demokratie-Analyse bei Alexis de Tocqueville. Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag.
 
Fott, David, 1998 : Dewey and the threat of tyranny of the majority. Perspectives on Political Science, 27 (4), 206-211.
 
Guinier, Lani, 1995: The Tyranny of the Majority. Fundamental Fairness in Representative Democracy. New York: The Free Press.
 
Hermens, Ferdinand A., 1958: The „Tyranny of the Majority“. Social Research, 25 (1), 30-52.
 
Horwitz, Morton J., 1966: Tocqueville and the Tyranny of the Majority. The Review of Politics, 28 (3), 293-307.
 
Hüglin, Thomas O., 1977: Tyrannei der Mehrheit. Eine ideengeschichtliche Studie. Bern und Stuttgart: Verlag Paul Haupt.
 
Laski, Harold, 1948: The American Democracy. New York.
 
Madison, James, Alexander Hamilton, John Jay, 1989: The Federalist Papers. New York: Bantam.
 
Maletz, Donald J., 2002: Tocqueville's Tyranny of the Majority Reconsidered. The Journal of Politics, 64 (3), 741-763.
 
Martin, Ernest W., 1961: The Tyranny of the Majority. London und Dunmow: Pall Mall Press.
 
McGann, A. J., 2004: The Tyranny of Supermajority: How Majority Rule protects Minorities. Journal of Theoretical Politics, 16 (1), 53-77.
 
Tocqueville, Alexis de, 1835: Über die Demokratie in Amerika. Erster Teil von 1835. Zürich: Manesse Verlag.
 
Tocqueville, Alexis de, 1840: Über die Demokratie in Amerika. Zweiter Teil von 1840. Zürich: Manesse Verlag.
 
Vatter, Adrian, Deniz Danaci, 2010: Mehrheitstyrannei durch Volksentscheide? Zum Spannungsverhältnis direkter Demokratie und Minderheitenschutz. Politische Vierteljahresschriften, 51, 205-222.



http://www.freitum.de/2013/02/der-geistige-despotismus-der-demokratie.html
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