Freimaurerei ist modern, wenn sie zeitgemäss gelebt wird
Freimaurerei - eine moderne Idee?
So wie ich’s lebe, das ist modern. Modern heisst auf der Höhe der Zeit, dem Zeitgeschmack entsprechend, zeitgemäss, modisch. Freimaurerei wäre dann modern, wenn sie zeitgemäss gelebt würde, wenn sie für gesellschaftliche Probleme Lösungsansätze bieten könnte. Kann sie das?
Diese Frage muss auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Situation und in Kenntnis freimaurerischer Prinzipien beantwortet werden. Darum skizzieren wir zuerst die gesellschaftliche Situation und anschliessend legen wir dar, was Freimaurerei ist und will, wie sie arbeitet, und woran man ihr Wirken erkennt.
Die gesellschaftliche Situation
Die Zukunft wächst aus dem Boden der Gegenwart; in der heutigen Ausgangslage wirken bereits diejenigen Kräfte, die sich künftig durchsetzen werden. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es den Freimaurern der Aufklärung gelungen ist, ihre Vorstellungen, wie die Gesellschaft sein sollte, in die Verfassungen des 19. Jahrhunderts einfliessen zu lassen. – Welche Entwicklungslinien zeichnen sich aber seit dem Zweiten Weltkrieg ab?
Offensichtlich haben sich die Rahmenbedingungen des Alltagslebens während der letzten Dezennien bedeutend verändert. Mit der Globalisierung ist die Erde nicht nur zum überseh- und überhörbaren Dorf zusammengewachsen, unter dem Druck der Entwicklung von Technologie,Wirtschaft und Informatik hat sich auch das individuelle Zeitgefühl vollständig verändert. Die Zeit für sich selber, für Familie und Freunde wird vielerorts von andern Prioritäten aufgefressen; die Zeit für die Formung des eigenen Charakters und für die Pflege der Freundschaft fehlt.
Der Siegeszug von Marktwirtschaft und Ökonomie, die Konzentration von Kapitalien und die damit verbundene Spekulation bewirken eine Dynamik, die sich in der Unplanbarkeit der Zukunft auswirkt. Im Vergleich mit ökonomischen und finanziellen Prioritäten erscheinen humanitäre, soziale und ökologische Aspekte im Grossen wie im Kleinen als vernachlässigbar. Nationalstaatliche Organisationen erweisen sich gegenüber transnationaler Wirtschaftsmacht als wenig wirksam, die traditionellen Parteien ringen um eine neue Identität und um der veränderten Situation angepasste Zielsetzungen. Wie die Staaten haben auch die offiziellen Religionen an Autorität eingebüsst.
In der multiethnisch, multikulturell und multireligiös gewordenen Informationsgesellschaft kommen viele Menschen trotz aller technischen Fortschritte moralisch nicht weiter. Vergeblich suchen sie nach innerem Glück, nach Ruhe und Frieden. Viele versuchen, sich neu zu orientieren, sie fragen nach der eigenen Identität. Angesichts der neuen Ausgangslage stellen sich die Lebensfragen anders als früher.
Was ist und was will die Freimaurerei?
Freimaurerei ist ein eigenartiges Lehrgebäude der Sittlichkeit, in Gleichnisse gehüllt und durch Sinnbilder erklärt. Sie ist eine Lebensschule, die das einzelne Mitglied durch Arbeit an seinem Innersten ermächtigen will, seinen Beitrag zur Schaffung einer humanen Gesellschaft zu leisten. Die Freimaurerei orientiert sich an den Idealen der Humanität, der Toleranz und des Kosmopolitismus. Die angestrebten Ziele will der Freimaurer dadurch erreichen, dass er seine Vorhaben mit Weisheit und Umsicht plant, dass er sie konsequent und mit Stärke durchführt, und dass er insgesamt nach Schönheit und Eleganz strebt.
Was die Freimaurerei will? Sie will ihre Mitglieder zu wahrem Menschentum erziehen, so dass sie als Familienglied, als Bürger und als Menschen ihre Pflichten gegenüber sich selbst und gegenüber Mitmenschen und Mitwelt wahrnehmen und erfüllen. Sie will sie zu wertvollen Gliedern der Gesellschaft machen, ohne sie in ihrer persönlichen Entfaltung zu hemmen.
Wie arbeiten die Freimaurer?
Jeder Freimaurer arbeitet an sich selbst, am eigenen rauen Stein. Er tut dies auf seine eigene Weise. Entscheidend dabei ist die richtige Anwendung der symbolischen Werkzeuge, Winkelmass, Zirkel, Spitzhammer, Meissel, Setzwaage, Senkblei und Massstab. Der richtige Einsatz dieser Werkzeuge im täglichen Leben macht die königliche Kunst aus.Weil die Entwicklung eines tragenden Wertesystems einen wesentlichen Teil der Entfaltung der Persönlichkeit des Freimaurers ausmacht, kann er diese Werte auch im gesellschaftlichen Leben – in Familie, Betrieb, Freundeskreis, Dorfgemeinschaft – zum Tragen bringen. Entscheidend dabei ist, dass die Loge ein Milieu schafft, in dem der einzelne Freimaurer in brüderlicher Auseinandersetzung seine Ideen entwickeln kann. Die Loge selber handelt nicht, sie unternimmt nichts. Es ist immer der einzelne Freimaurer, der handelt.
Bei seiner Arbeit am rauen Stein wird der Freimaurer unterstützt durch Rituale, Instruktionen, brüderliche Zusammenarbeit und durch die Forderung, persönliche Beiträge zum Logenleben zu leisten.
Woran erkennt man freimaurerisches Leben und Wirken?
Ein Freimaurer hat diese Frage wie folgt beantwortet:
•Daheim ist die Freimaurerei Güte,
•Im Geschäft ist sie Ehrenhaftigkeit,
•In Gesellschaft ist sie Höflichkeit,
•In der Arbeit ist sie Anständigkeit,
•Für den Unglücklichen ist sie Mitleid,
•Gegen Unrecht ist sie Widerstand,
•Für den Schwachen ist sie Hilfe,
•Dem Gesetz gegenüber ist sie Treue,
•Für den Glücklichen ist sie Mitfreude,
•Vor Gott ist sie Ehrfurcht und Liebe.
Der Nerv eines nach den Regeln der königlichen Kunst geführten Lebens und Wirkens ist das Streben nach Wahrheit und nach Selbstveredelung.
Schlussfolgerung
Sicherlich kann die Freimaurerei zeitgemäss gelebt werden, Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme kann sie aber nicht bieten. Das kann nur der einzelne Freimaurer.
Dank intensiver Arbeit an seinem Innern verinnerlicht er die universelle Ethik und die nicht trennende, sondern integrierende Denk- und Handlungsweise der Freimaurerei, dank der Beherrschung der königlichen Kunst setzt er sich mit den Problemen seiner Mitmenschen und seiner Mitwelt auseinander, dank Unterstützung und Anregung aus dem Logenleben führt ihn sein Streben nach Wahrheit zu archetypischen Strukturen und zu einer darauf beruhenden Spiritualität. Aufgrund der aus dieser Arbeit resultierenden Geisteshaltung kann der einzelne Freimaurer nicht nur zu sich selber finden, aus ihr können auch Ideen für eine bessere Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens hervorgehen. In brüderlichem Miteinander kann er darauf hinarbeiten, praktische Umsetzungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Nicht die Freimaurerei also, sondern die einzelnen Freimaurer sind dazu bestimmt, einzeln oder gemeinsam mögliche Auswege aus der heutigen weltweiten gesellschaftlichen Krise zu weisen oder ihren Beitrag zur Schaffung eines ethischen und geistigen Fundaments für die Zukunft zu leisten. Natürlich kann dieser Beitrag durch brüderliche Zusammenarbeit potenziert werden. Kreativität auf der ganzen Linie ist gefragt. Liebe, Licht und Leben könnte die Devise lauten.
Freimaurerei ist modern, wenn sie zeitgemäss gelebt wird. Dank ihrer toleranten, humanen und kosmopolitischen Grundlage kann sie unserem Leben und dem Leben kommender Generationen Sinn geben. Die Freimaurerei ist und bleibt eine moderne Idee. Sie wird immer – den Forderungen der Zeit angepasst – gelebt werden. Freimaurerei war immer!